Am 12. September 2022 erklärte Maria Wersig, die Präsidentin des djb, des Deutschen Juristinnenbundes, ihre Solidarität mit dem Beschluss des TDF-Rumpfvorstands vom 6.
Juli 2022, das zweifach bestätigte Positionspapier "Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht" zurückzunehmen.
Eike Weißenfels, Richterin a.D. und TDF-Mitfrau entgegnet der djb-Präsidentin mit dieser Antwort vom 14. September 2022.
14. September 2022 per Mail
Sehr geehrte Frau Professor Dr. Wersig,
Ihr Brief vom 12.09.2022 an die „Kolleginnen und Vorständinnen“ von Terre des Femmes hat mich einigermaßen erschüttert.
Vorausschicken möchte ich, dass ich selbst Juristin bin und über 38 Jahre lang Richterin war. Ich darf demgemäß durchaus für mich in Anspruch nehmen, in der juristischen Bewertung von Sachverhalten geübt und erfahren zu sein.
Unabhängig von Ihrer inhaltlichen Bewertung des Positionspapiers „Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht“ - darauf gehe ich noch ein - besteht keinerlei Veranlassung, die Entscheidung des Vorstands, das Positionspapier „zurückzunehmen“ und sich davon zu distanzieren, zu bejubeln.
Vielleicht ist es Ihnen in Ihrer Begeisterung ja entgangen, dass sich der Vorstand über zwei Mehrheitsbeschlüsse der Mitfrauenversammlung hinweggesetzt hat. So wurde das Positionspapier vor zwei Jahren mehrheitlich beschlossen, in der diesjährigen Mitfrauenversammlung nach kontrovers geführter Debatte wiederum mehrheitlich bestätigt.
Als Juristin sollten bei Ihnen angesichts des Vorgehens des Mehrheitsvorstands sämtliche Alarmglocken läuten. Der Mehrheitsvorstand hat nicht nur gegen § 9 Ziffer 5 der Satzung, wonach es dem Vorstand obliegt, die Beschlüsse (der Mitfrauenversammlung) umzusetzen, verstoßen, sondern hat die simpelsten demokratischen Regeln außer Kraft gesetzt und missachtet sie unverdrossen weiter. Demokratie sollte eigentlich in unserer Gesellschaft und Rechtsordnung eine Selbstverständlichkeit sein. Entsprechend wird es bereits im Sozialkundeunterricht vermittelt, im Jurastudium wird es erneut im ersten Semester in der verfassungsrechtlichen Vorlesung gelehrt. Gleichwohl scheint es Sie nicht weiter zu stören, dass der Mehrheitsvorstand hier in feudalistischer Manier die Entscheidungshoheit an sich reißt.
Vielleicht sind Sie ja der Meinung, angesichts des Themas müsse die Demokratie eben außen vor bleiben. Sie als Juristin sollten allerdings wissen, dass es nicht „ein bisschen Demokratie“ gibt, die als Gnadenakt gewährt wird, wenn es gerade passt und das Untertanenvolk „richtig“ abgestimmt hat.
Dass Sie in Ihrem Brief mit keiner Silbe auf diese Ungeheuerlichkeit eingehen, lässt mich an Ihrer Professionalität zweifeln.
Das Gleiche gilt für die inhaltliche Wertung Ihres Briefes.
Bei jemandem Ihres Formats hätte ich erwartet, dass Sie sich differenziert mit dem Thema auseinandersetzen. Stattdessen übernehmen Sie offensichtlich ungeprüft die teils krude Argumentation der Translobby. Hierfür rufen Sie auch noch das Bundesverfassungsgericht als Zeugen auf.
Ich nehme an, Sie sprechen hauptsächlich von der Entscheidung des BVerfG vom 10.10.2017. Es ist schon ziemlich vermessen, dieser Entscheidung entnehmen zu wollen, es „bestehe keine menschenrechtliche oder grundrechtliche Basis für eine politische Verengung der Kategorie Frau auf das biologische Geschlecht ohne Berücksichtigung der Geschlechtsidentität der betroffenen Person, wie sie derzeit diskutiert werde“. Aus dem Beschluss des BVerfG ist an keiner Stelle abzuleiten, dass es die Kategorien „Mann“ und „Frau“ aufgegeben hat. Im Gegenteil.
Ich gehe zu Ihren Gunsten davon aus, dass Sie die Entscheidung ganz gelesen haben. Dann kennen Sie den Sachverhalt und wissen Sie auch genau, worüber das BVerfG entschieden hat, nämlich dass die klagende Person an dem Turner - Syndrom leidet und deshalb aufgrund des festgestellten Chromosomensatzes nach Auffassung des Gerichts weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden könne. Für diesen Fall hat es entschieden, dass im Personenstandsregister eine weitere Eintragungsmöglichkeit vorhanden sein müsse.
Ihren Umgang mit dieser Entscheidung kann ich nur als vernebelnd bezeichnen. Das entspricht jedenfalls nicht einer seriösen juristischen Arbeitsweise.
Es ist im Übrigen festzustellen, dass Sie sich der üblich gewordenen Unschärfe der Begriffe und Begrifflichkeiten bedienen, was eines Juristen unwürdig ist. Das fängt mit dem Wort „Geschlechtervielfalt“ an.
Es gibt nur zwei biologische Geschlechter, männlich und weiblich. Sie werden durch den entsprechenden Chromosomensatz, nämlich XY oder XX, definiert. Die allermeisten Menschen haben einen in diesem Sinne vollständigen Chromosomensatz.
Ferner gibt es Menschen, die sich in ihrem biologischen Geschlecht nicht zu Hause fühlen. Sie möchten dem anderen Geschlecht angehören, sei es temporär oder auch auf Dauer. Das begründet aber kein neues Geschlecht und dementsprechend auch keine über das binäre Geschlecht hinausgehende Geschlechtervielfalt.
Vielfältig sind vielmehr die einzelnen Menschen (übrigens geschlechterübergreifend), wie sie ihre Sexualität erleben und leben oder leben wollen. Insoweit haben sie ohne Zweifel einen Anspruch darauf, dass sie den Schutz der rechtlichen und sozialen Gemeinschaft haben, insbesondere dass ihre Art zu leben respektiert und nicht zum Anlass für Diskriminierung oder gar Gewalt genommen wird.
Dies ändert indes nichts daran, dass die meisten Menschen sich mit ihrem biologischen Geschlecht eins fühlen und insbesondere biologische Frauen das Recht haben, als solche wahrgenommen und respektiert zu werden. In zunehmendem Maße wird den Frauen dieses Recht abgesprochen. Dies äußert sich z.B. darin, dass der Begriff „Frau“ nach dem Willen einschlägiger Kreise ersetzt werden soll durch „menstruierende Person“ oder „Mensch mit Gebärmutter“, eine Ausdrucksweise, die zutiefst menschenverachtend ist und gegen die in Art. 1 GG geschützte Menschenwürde verstößt. Können oder wollen Sie diese Entwicklung nicht sehen?
Eine Frau ist mehr als die Summe primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale. So sind beispielsweise im medizinischen und gesundheitlichen Bereich erhebliche Unterschiede bei den biologischen Geschlechtern festzustellen, die nicht verschwinden, weil ein als biologischer Mann geborener Mensch eine Transfrau wird. Dies gilt vor allem dann, wenn, wie dies nach dem geplanten Selbstbestimmungsgesetz der Fall sein soll, die Transition per Zuruf erfolgen kann mit der Folge einer tatsächlich völligen Gleichsetzung von Transfrau und biologischer Frau. Dies ist zum Schutz von Transfrauen nicht erforderlich, kann aber im Gegenteil biologische Frauen in Bedrängnis bringen. Erfahrungen in den USA und in Großbritannien sprechen eine eindeutige Sprache. Insoweit können durchaus unterschiedliche Interessen von Transfrauen und biologischen Frauen bestehen oder entstehen. Es gibt, um wieder zum Thema zurückzukommen, somit gute Gründe dafür, dass Terre des Femmes ein Verein für biologische Frauen ist. Hierfür müssen wir uns auch nicht rechtfertigen. Ich muss Sie wohl kaum darauf hinweisen, dass Art. 9 Abs. 1 GG als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft ein grundgesetzliches Recht garantiert, Vereine zu bilden, deren Mitglieder ihren Vereinszweck autonom bestimmen können. Dieses Recht ist für Frauen nicht eingeschränkt. So haben weder die Gesellschaft an sich noch einzelne gesellschaftliche Gruppen einen Anspruch darauf, dass Frauen ihre eigenen Belange hintanstellen. Dies gilt auch und gerade hinsichtlich der Anliegen der Translobby. Wir Frauen werden uns nicht ducken, weil irgendeine gesellschaftliche Gruppe meint, sie müsse beleidigt oder verletzt sein, weil wir unsere Interessen verfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Eike Weißenfels
und die 300 Frauen der #saveTDF Initiative